Maribel Brandis – Bilder und Objekte
Sonntag, 28. Oktober 2018 –
Essig Fabrik – Lübeck, Kanalstraße
Liebe Maribel,
lieber Herr Messerschmidt,
liebe Kunstfreunde,
„Kunst ist eine Sache allertiefster Menschlichkeit“ – dieses Zitat konnten Sie, meine Damen und Herren, und ich am 24. Oktober 2018 – also vor wenigen Tagen – in den „Lübecker Nachrichten“ lesen. Dieser schöne Gedanke stammt von Ernst Barlach.
Ein anderes Zitat las ich vor wenigen Tagen, als mein Mann und ich das Museum Barberini in Potsdam besuchten – leider ein bisschen zu spät: die Gerhard Richter Ausstellung war einen Tag zuvor zu Ende gegangen. Dennoch hat sich der Besuch gelohnt: Wir konnten die dortige Ausstellung „Vom Expressionismus zum Informel“besichtigen. Das folgende Zitat, das ich dort las, stammt von Wassily Kandinsky, dessen farbenprächtige Bilder Teil der Präsentation waren. Jener Künstler, der mit Gabriele Münter gemeinsam für und mit der Kunst lebte, der die „Neue Künstlervereinigung München“und den „Blauen Reiter“mitbegründete und Schriften verfasste wie „Über das Geistige in der Kunst“.
Für Kandinsky sollten „die seelischen Empfindungen des Einzelnen aus den Formen und Farben zum Betrachter sprechen“, las ich auf einer der Informationstafeln zur Ausstellung „Vom Expressionismus zum Informel“. - … „die seelischen Empfindungen des Einzelnen sollten aus den Formen und Farben zum Betrachter sprechen“…
… Allertiefste Menschlichkeit, die seelischen Empfindungen in Farbe und Formen umgesetzt… – das alles finde ich in den Bildern von Maribel Brandis. Auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, entdecken sicherlich in diesen künstlerischen Arbeiten Menschlichkeit und seelische Empfindungen!
So farbenfreudig, so farbenprächtig sind diese Arbeiten, dass wir uns ihrer Wirkung nicht entziehen können. Auch nicht könnten – selbst dann nicht, wenn ich – oder Sie - es wollten.
Diese Bilder sprechenmit uns, sie sprechen zu uns. Sie erzählen uns etwas über uns, über den Menschen im Allgemeinen und im Besonderen, über seine – und somit unsere - Sehnsüchte und Träume.
Sehnsucht
Sehnsucht geht um
reist durch die Welt
fährt durch dein Haar
über die Stirn die Augen
den Mund mitten
hinein in dein Herz
Sehnsucht geht um
verdunkelt das Licht
erhellt die Finsternis
erscheint bei Tag und bei Nacht
verführt verrückt vergeht nicht
Sehnsucht geht um
überall dort
wo du nicht bist
ist sie zu Haus
im Schneckenhaus
im Schloss in der Burg
Sehnsucht geht um
wie ein Gespenst
irrt sie umher
spukt durchs Haus
lacht und weint zugleich.
Der Mensch im Allgemeinen, im Besonderen, der Mensch und seine Sehnsüchte, seine Träume – diesen so schwer fassbaren, so schwer zu fassenden Menschen zu beobachten, ihn wahrzunehmen und diese höchst persönliche Wahrnehmung in allgemeingültige Kunst zu visualisieren, auszudrücken, zu übertragen - das ist durchaus etwas, was Maribel und ich teilen: Auch in meinen Gedichtengeht es vielfach und immer wieder um den Menschen: um seine Fähigkeiten und Unfähigkeiten, seine Kraft und Schwachheit, sein Wollen und Nichtkönnen, sein Können und Nichtwollen, seine Freiheit und seine Unfreiheit.
Freiheit der Lust
Nachts
wenn auch
die Mönche
ihre Kleider ablegen
die Huren
ihr Tagwerk beginnen
steckst du
immer noch
den Kopf
unter
die Asche deiner Väter
graut dir
immer noch
vor der
Freiheit der Lust.
Maribel ist ein Mensch mit einer sehr positiven Ausstrahlung. Das passt zu ihrem Lebensmotto: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich sicher, dass ich es schaffe“.Dieses Zitat aus Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ begleitet Maribel Brandis sozusagen schon seit ewigen Zeiten. Diese positive Lebenseinstellung zeigt sich auch bei der bildnerischen Arbeit mit dem Spachtel, ebenso beim energischen Pinselstrich. Maribel rückt uns – egal mit welchem Hilfsmittel - mit Farbe zu Leibe, will uns mit Farbigkeit verführen. Verführen zu lebensfroher Lebendigkeit, verführen zu reflektierter Lebhaftigkeit. Was für ein guter Ansatz! Denn Kunst darf verführen. Kunst ist kein Heiligtum. Kunst ist Menschsein. Kunst ist verführerisch. Kunst soll verführen - jeden von uns! Wozu auch immer.
Gedankenmalerei
Wir malen Gedanken
auf weißem Papier
von der Mitte her
in weitem Schwung
in kräftigen Farben
verlaufen sie
von innen nach außen
bis der Grund
nicht mehr sichtbar ist
verschwimmen
im Farbenmeer
stürzen kopflos
übereinander
verströmen
Befindlichkeiten
verändern das Bild
machen Unsichtbares
sichtbar bewahren
dennoch ihr Geheimnis
widerstehen dem Abbild
bleiben Schemen nur.
Von Picasso stammt der Ausspruch: „Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit zu begreifen lehrt.“ Insofern kann und darf es durchaus sein, dass Maribel vielleichtsogar manchmal „lügt“in der offensichtlichenDarstellungund wir die verborgene Wahrheithinter den Bildern suchen müssen.
…Die Wahrheit suchen... Maribel sucht sie mit Stift und Pinsel, mit Fotoapparat und Computer. Ichsuche sie mit Bleistift, Kugelschreiber und Computer. Wir suchen und wir finden. Was wir finden, ist in unseren Arbeiten vorhanden. Manchmal muss der Betrachter, der Leser länger als einen Augenblick suchen, bis er etwas findet – das kann eine Aussage sein oder auch „nur“eine Frage...
Eine Frage
streift durchs Gras
irrt verwirrt
übers Feld
glaubt sich nicht
bäumt sich auf
wurzelt in Zweigen
verästelt verzweifelt
wirft Wipfelanker
schüttelt den Kopf
ratlos vergeblich.
Manchmal stimmt uns die Kunst, stimmt uns das dargebotene Ergebnis heiter. Manchmal stimmt es uns ernst. Kunstkannim Ergebnis vergnüglich sein. DasErgebnis- das Kunstwerk- kannaber auch anstrengend sein. Kunst darf vergnügen. Kunst darfanstrengen. Kunst darf und kann all das. Und das ist gut so.
Wenn du willst
Wenn du willst kannst du
Lärm mit Stille übertönen
Hass mit Liebe überwinden
Argwohn Neid Missgunst
Krieg Gewalt und Macht
furchtlos in die Flucht schlagen
wenn du willst kannst du
die Wahrheit sagen
ohne Süßholz zu raspeln
den Feind zum Freund machen
Verlust in Gewinn ummünzen
Unglück in Glück verwandeln
wenn du willst kannst du
Berge versetzen und
Täler durchschreiten
wenn du willst kannst du
all dies und noch mehr.
Maribel ist gebürtige Spanierin. Sie wurde 1965 in Barcelona geboren. Seit 1987 lebt sie als freischaffende Künstlerin in Bad Schwartau. Malerei hat sie bei dem spanischen Künstler Miquel Barneda Muñoz studiert sowie bei dem russischen Maler Alexandre Jgnatkov und dem Schweizer Künstler Alexandre Jeanmaire. Maribel Brandis arbeitet sowohl mit Öl als auch mit Acryl und kreiert Digital-Art.
2005 gründete sie ihr Atelier „Maribel-Arts“.Ein Jahr später wurde sie Mitglied im „Förderverein Bildende Kunst Ostholstein“, dessen Vorstandsmitglied sie seit 2018 ist.
Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, Aufträge für Unternehmen aus der Wirtschaft, der Industrie belegen den hohen Stellenwert, die große Anerkennung, die Maribel sich mit ihrer künstlerischen Leistung seit langem bei Galeristen, Messeausstellern und (potentiellen) Käufern erarbeitet hat. Rund 80 Ausstellungen hat die Künstlerin seit 2005 allein in Norddeutschland bestückt. Eine eindrucksvolle Zahl, die für sich und für die Arbeiten von Maribel Brandis spricht.
Im Interview mit André Chahil für das Kunstmagazin „Permalink“ erzählt sie von ihrem Werdegang, von ihren ersten, prägenden Begegnungen mit Kunst. Sie habe schon als Kind immer das Bedürfnis gehabt, sich in kreativer Weise auszudrücken. Dabei habe ihr Vater ihr geholfen. Er habe ihr kreative Möglichkeiten eröffnet, indem er sie an den Umgang mit Werkzeugen heranführte.
Und dann war da die erste, eigentliche Begegnung mit Kunst: Maribel hatte das große Glück, den katalanischen Künstler Miquel Barneda Muñoz als Kunstlehrer zu haben. Er brachte den SchülerInnen seinen eigenenWerdegang als Künstler nahe, zeigte ihnen sowohl gegenständliche als auch surrealistische Malerei. Das beeindruckte, ja: prägteMaribels Werdegang, legte den Grundstein für den - wahrlich nicht leichten - Weg zur freischaffenden Künstlerin. Weitere Wegbereiter wie Ignatkov und Jeanmaire sowie die ostholsteinische Künstlerin Lilo Müller gaben der Kunststudentin und ihrer Kunst über viele Jahre weiteren Schliff. Mit Erfolg, wie man sieht!
Häufig sind es Menschen, vor allem deren Köpfe, denen Maribel Brandis in ihren Bildern besonderen Ausdruck verleiht - seien es Berühmtheiten wie Andy Warhol, Brigitte Bardot, David Bowie oder Angela Merkel (die heute leider nicht hier sein kann, weil sie wahrscheinlich gerade bei Herrn Erdogan ist oder irgendwo anders auf der Welt). Ein Werk, das mir besondersgut gefällt, ist das Porträt „Antonella“,ein Produkt aus Maribels Mixed Media-Werkstatt aus 2017, ursprünglich mit Öl auf Leinwand gemalt. „Discozeit“heißt ein Doppelporträt-Bild, dessen Suchtcharakter Weiß- und Grautöne symbolisieren – beispielsweise im Rauch, der genüsslich-süchtig aus dem Mund entlassen wird.
Bei den Original-Porträts hat die Künstlerin meist mit dem Spachtel gearbeitet. Ein beliebtes Handwerkszeug von Maribel, mit dem sie perfekt umzugehen weiß.
Maribel liebt die Begegnung mit Menschen, weil Menschen sind wie sie sind: einzigartig! Einzigartig in ihrer Individualität, einzigartig in ihrer Schönheit. Frauen malt sie besonders gerne. Deren Sinnlichkeit berührt sie, deren Verträumtheit, deren Verlorenheit in Gedanken. Das, was die Künstlerin Maribel Brandis sieht, setzt sie mit verschiedenen Techniken und Materialien um. Dabei experimentiert sie gern mit Fotografie und Bildbearbeitung in Pop-Art. „Diese Verbindung ist wie eine Metamorphose, wie die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling“,erzählte sie mir.
Von Verwandlung – oder von gewünschterVerwandlung – spricht auch mein Gedicht „Modell“,das Sie jetzt hören werden.
Modell
So rund wie die Erde
dein Traum von Frau
ich eckig wie eine Schachtel
farblos wie unbemalte Pappe
steh ich herum
nutzlos und liebend
mal mich doch an.
Maribel malt ihre großformatigen Porträtbilder meist in Öl, fotografiert die gemalten Bilder, bearbeitet diese am Computer. Bei diesem Vorgang werden die zuvor gemalten Bilder jeweils mit unterschiedlichen, kräftigen Farben unterlegt. Auf diese Weise entstehen einerseits dieselbenPorträts, andererseits wirken sie aufgrund der unterschiedlichen Farbgestaltung völlig verschieden. Von 20 Entwürfen sucht die Künstlerin jeweils zwei heraus, die ihr besonders gut gefallen und lässt sie auf gebürstetem Aluminium drucken. „Ich bin ein Perfektionist auf der Suche nach Vollkommenheit.“
Die Suche nach Vollkommenheit ist für die Perfektionistin Maribel Brandis ein wichtiger Antriebsmotor. „Doch die (Vollkommenheit) existiert eigentlich nicht“,sagt sie. Weil das leiderso ist, will sie immer einen Schritt weitergehen. Genau das ermöglicht ihr die Pop Art. Eine andere Technik, die Maribel erst vor kurzem für sich entdeckt hat, sind collagierte und colorierte Transferlithografien. Mit dieser Methode - die Ihnen Maribel gerne näher erklären wird, wenn Sie dies wünschen - entstanden beispielsweise „Imara“oder auch „Frida Kahlo“.
Wenn Maribel nach Fertigstellung einer Serie Kompensation sucht, findet sie die oft im Malen abstrakter Acryl-Bilder. Auch hier scheint oft der Mensch hervor, wird sichtbar, und seine Anwesenheit lässt sich nicht verleugnen. Andere abstrakte Bilder wie die Serie „Ins Blaue“sind in Mischtechnik gefertigt.
Der Künstlerin ermöglicht dieser Material- und Genrewechsel, dieses wechselseitige Spannungsfeld, notwendigen Ausgleich. Auch dem Betrachterwird hierdurch etwas Besonderes möglich: er sieht den Menschen mit verschiedenen Augenpaaren. Man könnte sagen, mit dreierleiAugen: mit den eigenen, mit den Augen der Künstlerin beim Betrachten des abstraktenMotivs, mit den Augen der Künstlerin beim Betrachten des konkretenKunstwerks. Viele Gedanken, viele Geschichten fließen auf diese Weise zusammen.
Dieses Spannungsfeld, von dem wir eben hörten, die vermeintliche Unvollkommenheit und die unaufhörliche Suche nach Vollkommenheit- das sind die drei Antriebsmotoren von Maribel Brandis.„Ich war immer sehr kritisch mit mir selbst und war mir sehr früh bewusst gewesen, wie unvollkommen wir Menschen sind“, sagte sie im April 2018 im Interview für „Permalink“.
… Der unvollkommene Mensch - eine Tatsache, die Maribel schon früh bewusst war. Die einen sind glücklicher als die anderen. Die anderen sind unglücklicher. Die einen sind mehr als die anderen. Die anderen scheinen mehr zu sein. Die einen sind ängstlicher als die anderen usw. usf. - Der schillernde Mensch. Wie ein Chamäleon schillert er in allen Farben.
Chamäleon
Geboren unter dem Regenbogen
das Chamäleon
sein schillerndes Gewand
gewebt aus den Farben
der Kindheit
kommt tanzt unter dem Regenbogen
ihr die ihr ich seid
auf eines fällt Regen
auf eines fällt Licht
es weint
und lacht
und tanzt
mein Überich.
Maribel engagiert sich, bringt sich bei Hilfsorganisationen ein. Zuschauenist nicht ihre Sache. Sie liebt es zu gestalten, mitzugestalten. Auch bei Hilfsorganisationen. Hierzu gehört in den vergangenen zehn Jahren beispielsweise die Arbeit mit Straßenkindern in Cochabamba (Bolivien), die Förderung einer Schule in Moschi (Tansania) und die Arbeit mit Flüchtlingskindern in ihrem Atelier.
Einen weiteren künstlerischen Bereich von Maribel Brandis möchte ich abschließend ansprechen: Maribel erarbeitet auch wunderschöne menschliche Skulpturen, die in die Höhe streben, aufragen. Es sind keine geduckten, ängstlichen Figuren, die von der Künstlerin geformt werden. Ihre Figuren strahlen Selbstbewusstsein, Zielstrebigkeit aus, auch wenn ein Titel anderes suggeriert wie beispielsweise „Im Draht des Gefechts“.Auch diese Figur, diese Frau sieht so aus, als könne sie sich wehren, als könne sie ein Gefecht gewinnen und siegreich aus der Schlacht, aus dem Kampf hervorgehen.
Hier in der Ausstellung sehen Sie „nur“ zwei männliche Skulpturen. Sie haben sich in ihrer Körperlichkeit der Frau angepasst, wirken nicht weniger stark als diese, sondern genauso stark, haben etwas Androgynes. Weibliche Skulpturen finden Sie im Katalog zur Ausstellung.
„Wenn meine Kunst dazu beiträgt, dass sie, selbst wenn es nur für einen kurzen Moment sein sollte, leidende Menschen emotional und gedanklich ablenkt und erfreut, dann habe ich mein Ziel bereits erreicht“, sagt Maribel Brandis. Natürlich können auch wir, die wir uns doch eher auf der Sonnenseite des Lebens befinden, derartige Momente des Glücks erleben. Erfreuen wir uns also an diesen Kunstwerken, die so bunt sind wie die Welt. Erleben wir mit Maribels Arbeiten bildschöne Momente des Glücks.
Ich wünsche dieser Ausstellung viele Besucher, ich wünsche Maribel Brandis weiterhin viel Erfolg und danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.
28. Oktober 2018
Alle Gedichte: ©Marion Hinz. Aus: „Leicht ist mein Herz“, Gedichte, 256 Seiten, gebunden, Husum Verlag, ISBN 978-389876-784-2, 16 €
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